Gerald Herowitsch-Trinkl, Obmann des Dachverbands der österreichischen Jugendhilfeeinrichtungen (DÖJ), wählt ein anschauliches Beispiel: "Welcher Vater oder welche Mutter würde dem eigenen Kind zum 18. Geburtstag einen Gutschein für zehn Stunden Beratung schenken und es dann auf die Straße setzen?" In heilen Familien ist das undenkbar, für Care-Leaver aber oft die bittere Realität.

Gerald Herowitsch-Trinkl, Georg, Alexandra Weiss und Alexandro Kluger vom Verein Careleaver Österreich und SPÖ-Burgenland Klubobmann Roland Fürst bei einer Pressekonfrerenz.
Gerald Herowitsch-Trinkl, Georg, Alexandra Weiss und Alexandro Kluger vom Verein Careleaver Österreich und SPÖ-Burgenland-Klubobmann Roland Fürst fordern die Ausweitung der Kinder- und Jugendhilfe in ganz Österreich nach burgenländischem Vorbild. Die Careleaver selbst gehen sogar noch einen Schritt weiter.
Guido Gluschitsch

Care-Leaver sind Menschen, die einen Teil ihres Lebens in einer Pflegefamilie oder einer Einrichtung der Jugendhilfe verbracht haben und diese auf dem Weg in ein eigenständiges Leben wieder verlassen. "In Österreich ziehen die Menschen im Schnitt mit 25,4 Jahren von zu Hause aus", zitiert Roland Fürst, Klubobmann der SPÖ Burgenland, eine Studie. "Menschen, die eh schon als Kind aus ihrer Familie gerissen wurden und Unterstützung brauchen, werden aber mit 18 Jahren auf die Straße gesetzt? Das kann nicht sein." Im Burgenland sei die Betreuung bis zum Alter von 24 Jahren möglich, und wo Unterstützung notwendig sei, werde diese auch gewährt. Das burgenländische System hält er für so gut, dass es dem Bund als Beispiel dienen soll. "Johannes, mach was!", fordert Fürst in Richtung Gesundheitsminister Johannes Rauch von den Grünen.

Obdachlos im Maturajahr

Einen Schritt weiter geht der Verein Careleaver Österreich. Der Verein hilft jungen Menschen und unterstützt sie etwa bei der Ausbildungs- und Wohnungssuche, versucht den Zusammenhalt von Care-Leavern in ganz Österreich zu fördern und fordert eine Anhebung der Altersgrenze für Unterstützung auf 26 Jahre.

Bei Careleaver Österreich arbeitet etwa auch Georg mit, der ab dem 15. Lebensjahr vom Jugendamt in Salzburg betreut wurde. Mit 18 Jahren stand er gerade in der Vorbereitung seiner HAK-Matura, als seine Betreuung vom Jugendamt beendet und er zum Sozialamt geschickt wurde. Dort sagte man ihm, man könne ihn nicht unterstützen, denn Mindestsicherung würde er nur bekommen, wenn er willig sei, 40 Stunden zu arbeiten. "Im laufenden Maturajahr wurde ich mit 18 Jahren obdachlos", erinnert er sich. Eine NGO hat ihn wieder von der Straße geholt, ihm eine für ein Jahr befristete Wohnung angeboten. Er hat die Matura gemacht und studiert nun. "Dieses eine Jahr Extraunterstützung hat für mich so viel Gutes bewirkt", sagt er.

"Mit 18 stehst du am Scheideweg", sagt Alexandra Weiss, ebenfalls von Careleavers Österreich. "Man fragt sich, wie kann ich das aus mir machen, was ich werden möchte – und genau an dem Punkt wird man fallengelassen." Mit fürchterlichen Folgen, denn man wisse nicht, wo man wohnen und wo man Hilfe bekommen könne.

Forderung nach gleichen Chancen

"Kinder, die in der Jugendhilfe gelandet sind, brauchen zudem oft etwas länger, weil sie ja auch ihre komplizierte Lebensgeschichte verarbeiten müssen", erinnert Weiss, die es wie Georg geschafft hat, studieren zu können. "Aber es zahlt sich aus, in die Jugendhilfe zu investieren", sagt sie. Man spare sich Geld für Suchtberatungen und Obdachlosenhilfe. Jeder in Care-Leaver investierte Euro komme also mehr als zurück – und nicht zuletzt hilft die aufgebaute Resilienz diesen Menschen dann auf dem späteren Lebensweg.

"Wir wünschen uns Unterstützung bei der Wohnungssuche, eine Krankenversicherung und Hilfe bei einer Psychotherapie", sagt sie. Die meisten Care-Leaver haben ein Lehrlingsgehalt, wenn sie ihre erste eigene Wohnung brauchen, und können sich die Kaution gar nicht leisten. "Wir sind nicht wie andere Kinder bei den Eltern mitversichert", erklärt sie und erinnert sich an ein Mädchen, das fast keine Zähne mehr hat, sich aber nicht zum Zahnarzt zu gehen traut, weil sie eben nicht versichert ist.

"Andere Jugendliche haben ihre Eltern, auf die sie sich meist verlassen können. Kinder und Jugendliche, die fremd untergebracht wurden, aber nicht", sagt Alexandro Kluger, der ebenfalls bei dem Verein tätig ist. Wenn Care-Leaver mit finanziellen Problemen kämpfen, emotional belastet sind oder Unterstützung bei der Ausbildungs- und Wohnungssuche brauchen, dann wäre es für sie ein gutes Gefühl zu wissen, dass sie jemanden haben, der hilft und auch den existenziellen Druck abfedert. "Wir wünschen uns nichts Außergewöhnliches, nur die gleichen Chancen wie unsere Altersgenossen auch", sagt er, der inzwischen bei der Polizei arbeitet und mit Alexandra und Georg anderen Care-Leavern Hoffnung machen möchte und zeigen, dass man es schaffen kann, erfolgreich zu sein. (Guido Gluschitsch, 7.5.2024)