Omri Boehm, selbst Angehöriger von Holocaust-Überlebenden, verwahrte sich dagegen, in ein antisemitisches Eck gestellt zu werden.
Omri Boehm, selbst Angehöriger von Holocaust-Überlebenden, verwahrte sich dagegen, in ein antisemitisches Eck gestellt zu werden. Er verurteilte die Hamas-Gräuel scharf, mahnte aber auch, dass Kritik an Israel legitim sein müsse.
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Seit 2019 werden die Wiener Festwochen schon vor der Rathausplatz-Eröffnung mit einer "Rede an Europa" am Wiener Judenplatz eingeleitet. Doch noch nie war die Stimmung im Vorfeld derart aufgeladen wie diesmal. Scherengitter standen parat, die letztlich nicht zum Einsatz kamen; ein Dutzend Polizeikräfte, Soldaten und Verfassungsschützer waren vor Ort, die, außer bereit zu sein, letztlich nicht viel zu tun hatten. Der Redner Omri Boehm, israelisch-deutscher Philosoph und Professor an der New Yorker New School for Social Research, hatte seiner Rede bereits vorausgeschickt, dass er all jene, die in seiner Person Gründe für Krawall erwarten würden, enttäuschen werde.

Eine Rede an Europa 2024: Omri Boehm
Wiener Festwochen

Der knapp einstündigen Rede Boehms, die letztlich mehrfach mit Beifall quittiert wurde, war eine tagelange Empörungsspirale vorausgegangen. Vertreter der Israelitischen Kultusgemeinde (IKG) sowie ÖVP-Politiker hatten heftige Kritik an der Einladung Boehms geübt, der frühere IKG-Präsident Ariel Muzicant hatte im Kurier gar mitgeteilt, wenn er jünger wäre, würde er faule Eier werfen. Eine Dame im Publikum hatte welche mitgebracht und rief, zynisch gemeint, "Eier für Muzicant". Festwochen-Chef Milo Rau zeigte sich in seiner Ankündigung Boehms verwundert, dass in einer so unversöhnlichen Zeit gerade ein Versöhner wie Boehm ein Provokateur sein soll. Und er bat, "die Eier dort zu lassen, wo sie hingehören". Dort blieben sie dann auch.

Die Rede war begleitet von pro-israelischen Protesten. Boehm sprach Demonstrierende direkt mit den Worten an: "Ich höre euch, aber hört ihr mich auch?"
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Was Milo Rau nicht erwähnte, ist, dass bereits seine Einladung des Israelkritikers Yanis Varoufakis für ein Festwochen-Projekt für Unmut sorgte. Omri Boehm, der an seiner Rede bis zuletzt gefeilt hatte und die nicht abgesprochen gewesen sei, kritisierte letztlich auch Varoufakis für dessen einseitige Haltung im Israel-Palästina-Konflikt. Etwa 20 junge Menschen hielten Protestschilder wie "Israel = Kant, Hamas = Anti-Kant" oder "Free Gaza from Hamas" hoch. Als sie Omri Boehm mit Zwischenrufen unterbrechen wollten, wandte er sich direkt an sie mit den Worten: "Ich höre euch, aber hört ihr mich auch?"

Eine pro-palästinensische Gruppierung hielt ein Banner, auf dem ein Waffenstillstand gefordert wurde.
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Was Boehm zu sagen hatte, war dann nämlich weit versöhnlicher, als von einigen im Vorfeld heraufbeschworen wurde: Zunächst erklärte Boehm, dass er die Einladung angenommen habe, weil er selbst Holocaustüberlebende aus Wien in seiner Verwandtschaft habe. Die Gräuel der Hamas verurteilte er an mehreren Stellen, mahnte aber auch, dass Bomben auf Gaza keine geeignete Antwort seien. Ein riesiges Protestplakat, das über dem Nebenstandort des Jüdischen Museums aufgehängt wurde, zitierte Karl Lueger („Wer a Jud‘ ist, das bestimm i“) und das Statement "Dämonisierung Israels ist Antisemitismus". Auch darauf ging Boehm ein: "Exakt", sagte er. Niemand hier habe die Absicht, Israel zu dämonisieren und wer es täte, dem müsse man entgegentreten. Aber es müsse auch möglich sein, legitime Kritik an Israel zu üben.

Die eigentliche Aufgabe Europas sei aber, die zentrale Losung der Aufklärung – "Die Würde des Menschen ist unantastbar", ein Satz, den er mehrfach wiederholte – als universal gültiges Grundgesetz durchzusetzen. Einzig die Europäische Union als historisch singuläres Projekt könne mit seiner föderalen Struktur, die weder imperial noch nationalistisch sei, als Vorbild für die Konfliktregion gelten. Immer wieder zitierte Boehm in seiner Rede in diesem Zusammenhang auch den renommierten US-Historiker Timothy Snyder, der die "Rede an Europa" 2019 gehalten hatte und die EU als bestmögliches Projekt betrachtet, um Europa vor der neuerlichen Katastrophe zu bewahren. Identitätspolitik, ob von links im postkolonialen Gewand kommend, oder von rechts als Nationalismus auftretend, untergrabe diese Errungenschaft. Beiden Extremen müsse man eine Absage erteilen. (Stefan Weiss, 7.5.2024)