In einer niederösterreichischen Kleinstadt sollte Großes passieren. Mit einer Jobgarantie hatte man sich das Ziel gesetzt, die Langzeitarbeitslosigkeit in Gramatneusiedl abzuschaffen. Das weltweit einzigartige Expe­riment sorgte für internationale Schlagzeilen: Von CNN bis New ­Yorker reisten Journalistinnen und Journalisten in die 3700-Einwohner-Gemeinde südöstlich von Wien, um darüber zu berichten.

Trotz positiver Bilanz endete das Projekt mit 31. März nach dreieinhalb Jahren. Welche Lehren lassen sich daraus ziehen? Darüber sprachen die beiden an der Begleitstudie "Marienthal.reversed" beteiligten Wissenschafter der Universität Wien, Jörg Flecker und Hannah Quinz, bei einer Präsentation der Ergebnisse.

Freiwillige Teilnahme

Die Arbeitslosigkeit steigt wieder, und vielen Menschen fällt es schwer, am Jobmarkt Fuß zu fassen. Konkret waren im März 2024 rund 80.000 Personen mehr als ein Jahr lang auf Arbeitsuche – ein Anstieg von 6,4 Prozent zum Vergleichs­monat im Vorjahr. Der Anteil langzeitbeschäftigungsloser Personen an allen Arbeitsuchenden liegt damit bei 28 Prozent und ist doppelt so hoch wie vor 15 Jahren.

Genau hier wollte man mit ­Magma – kurz für Modellprojekt Arbeitsplatzgarantie Marienthal – ansetzen. Ins Leben gerufen wurde die Initiative im Jahr 2020 vom damaligen Chef der Arbeitsmarktservice Landesgeschäftsstelle Niederösterreich Sven Hergovich. Das Angebot: Jede Person in Gramatneusiedl, die ein Jahr oder länger arbeitslos war, bekam garantiert einen Job. Die Teilnahme erfolgte freiwillig, und jede Stelle wurde mit einem kollektivvertraglich festgesetzten Lohn bezahlt.

Ein Mann und eine Frau arbeiten in einer Holzwerkstatt in Marienthal an einem Möbelstück
112 Menschen profitierten von der Jobgarantie in Gramatneusiedl. Einige arbeiten in einer Werkstatt vor Ort. Anderen gelang der Übergang in den regulären Arbeitsmarkt.
Heribert Corn

Historischer Hintergrund

Name und Ort, an dem das Projekt stattfand, wurden nicht zufällig gewählt. Marienthal ist ein Ortsteil von Gramatneusiedl. Bereits ­Anfang der 1930er-Jahre wurde dort die Marienthal-Studie zu Langzeitarbeitslosigkeit durchgeführt. Heute gilt sie als eine der berühmtesten Untersuchungen in der Sozialforschung. Das Forschungsteam rund um Marie Jahoda, Paul Felix Lazarsfeld und Hans Zeisel erhob damals die Auswirkungen von Arbeitslosigkeit, nachdem eine Textilfabrik im Ort geschlossen wurde und hunderte Arbeiterinnen und Arbeiter über Nacht ihren Job verloren hatten.

Die zentrale Erkenntnis: Eine Anstellung bedeutet mehr als nur ein sicheres Einkommen. Arbeit sorgt für Struktur im Alltag, gibt den Beschäftigten das Gefühl von Wertschätzung und motiviert. "Langzeitarbeitslosigkeit führt hingegen zu großen Problemen – individuellen und gesellschaftlichen", sagt der Soziologe Jörg Flecker. Das Armuts­risiko steigt, die Gesundheit leidet, die soziale Teilhabe und der Zusammenhalt sind beeinträchtigt. Und: Je länger die Arbeitslosigkeit dauert, umso schlechter stehen die Chancen, zu einem Bewerbungsgespräch eingeladen zu werden.

Individuelle Anpassung

Insgesamt 112 langzeitbeschäftigungslose Personen haben sich über den gesamten Zeitraum für das Projekt beim alten Fabriksgelände gemeldet. Nach einer Einstiegsphase führten die Teilnehmenden Ge­bäuderenovierung, Möbelrestaurierung, Grünraumpflege, Büro- oder Handwerksarbeiten durch. Arbeitszeit und -bedingungen wurden individuell an die Teilnehmenden an­gepasst. "Das Konzept der Arbeitsplatzgarantie bietet Personen, die aus dem Arbeitsmarkt ausgegrenzt sind, eine längerfristige Beschäftigung an", sagt Flecker. "Es springt sozusagen der Staat mit den Mitteln der Arbeitsmarktpolitik ein, um ein hartnäckiges Problem zu lösen."

Denn oftmals seien Menschen über viele Jahre erwerbstätig gewesen, die Arbeit hätte aber ihre Gesundheit beeinträchtigt, erklärt der Soziologe. Aber auch Menschen mit Betreuungspflichten oder Personen mit Migrationsbiografie hätten meist schlechtere Karten am Jobmarkt. Und die Bilanz? "Fast ein Drittel hat über das Projekt einen Job am allgemeinen Arbeitsmarkt gefunden", sagt Flecker. Andere stünden ohnehin vor der Pension. Es bleibe jedoch ein Teil, für den eine dauerhafte geförderte Beschäftigung sehr wichtig wäre, sagt die wissenschaftliche Projektmitarbeiterin Hannah Quinz.

Positive Effekte

Im Verlauf des Projekts wurden die von Beginn an Teilnehmenden über zwei Jahre hinweg mehrmals befragt. Die Ergebnisse zeigen überwiegend positive Auswirkungen. Im Rahmen der ersten Befragung im Jahr 2020 gab die große Mehrheit (68 Prozent) an, kein Geld auf die Seite legen zu können. 28 Prozent bereitete ihre finanzielle Situation große Sorgen. Zwei Jahre später hat sich die Situation stark verändert: Nun kann die Hälfte der Befragten ein finanzielles Polster ansparen und niemandem hat mehr große Geldsorgen (siehe Grafik 1).

Im Zwei-Jahres-Vergleich zeigt sich außerdem eine deutliche Verbesserung der mentalen Gesundheit der Teilnehmenden. Laut der Untersuchung haben Angstzustände und psychosomatische Beschwerden wie Schlafstörungen, Übelkeit und Magenschmerzen sowie Hautprobleme abgenommen. Die empfundene Wertschätzung hat sich im selben Zeitraum von 40 Prozent auf 84 Prozent mehr als verdoppelt (siehe Grafik 2). Auch das Zugehörigkeitsgefühl wurde deutlich stärker und stieg von anfänglich 50 auf 75 Prozent.

Entscheidender Faktor

Doch nicht nur die finanzielle Situation und das Wohlbefinden der Teilnehmenden wurde positiv beeinflusst, sondern auch ihre Umgebung. Die umgesetzten Arbeitsprojekte brachten einen Mehrwert für den Ort, wenn auch nicht immer mit wirtschaftlichem Nutzen. Die Jobgarantie koste zudem nicht mehr als Langzeitarbeitslosigkeit, die etwa 30.000 Euro pro Person im Jahr ausmache. Zu diesem Schluss kam eine weitere Begleitstudie des Projekts von der Universität Oxford.

Außerdem ging in Gramatneusiedl die Arbeitslosigkeit insgesamt zurück. "Das heißt, durch das Projekt wurden keine arbeitenden Personen oder bestehenden Arbeitsplätze verdrängt, sondern neue Jobs geschaffen", sagt Hannah Quinz. Ausschlaggebend für den Gesamterfolg von Magma ist laut der Soziologin vor allem die Dauer. Denn geförderte Beschäftigung könne erst über einen längeren Zeitraum ihre volle Wirkung entfalten. Seit April ist das Projekt Marienthal aber nun – zumindest vorerst – wieder Geschichte. (Anika Dang, 30.4.2024)