Im Schuljahr 2021/22 wurde der Ethikunterricht in Österreich als alternativer Pflichtgegenstand für all jene Schüler:innen ab der neunten Schulstufe eingeführt, die keinen Religionsunterricht besuchen. In etwa ein Sechstel dieses Unterrichtsfachs beschäftigt sich laut Lehrplan mit Religion(en) und religionsbezogenen Themen. Zudem wird die Religionswissenschaft als kulturwissenschaftliche, konfessionell ungebundene Disziplin im Lehrplan als eine Bezugswissenschaft für das Unterrichtsfach Ethik angeführt. Bislang sind religionswissenschaftliche Komponenten im österreichischen Ethikunterricht aber nur wenig präsent.

Wissenschaftlich fundierte Auseinandersetzung mit Religionen

Aus diesem Grund hat die Österreichische Gesellschaft für Religionswissenschaft (ÖGRW) am 15. März dieses Jahres zu einer Fachtagung mit dem Titel "Religionskunde im Ethikunterricht – Anfragen aus Theorie und Praxis" eingeladen, die sich mit der Frage beschäftigte, welche Beiträge religionskundliche, und somit nichtkonfessionelle, Bildung im Ethikunterricht hinsichtlich des Themenbereichs "Religion(en)", und darüber hinaus, leisten kann. Dabei wurde deutlich, dass die Potenziale der Religionskunde in der Schulpraxis noch bei weitem nicht ausgeschöpft sind. Hier will die ÖGRW nun weiterarbeiten und auf diese Weise einen grundlegenden Beitrag zur (religionskundlichen) Bildung in Österreich leisten.

Die Fachtagung begann mit einem Vortrag von Wanda Alberts, Professorin an der Universität Hannover. Sie präsentierte in ihrem Eröffnungsvortrag ein Konzept von Religionskunde, das von religiösen Normierungen unabhängig sein soll und sich durch eine kultur- und sozialwissenschaftliche Rahmung von Religion im Unterricht auszeichnet. Des Weiteren setzte sich Alberts kritisch mit dem sogenannten Weltreligionen-Paradigma auseinander, das Religionen unter anderem "wie selbsthandelnde Wesen erscheinen lässt". Zudem betonte Alberts in ihrem Vortrag, dass Schüler:innen im religionskundlichen Unterricht "die Kompetenz erwerben sollen, Religionen als kulturelle Phänomene zu verstehen".

Wanda Alberts ist eine der zentralen Expertinnen für Religionskunde im deutschsprachigen Raum und hat erst jüngst gemeinsam mit Horst Junginger, Katharina Neef und Christina Wöstemeyer den Open Access Band "Handbuch Religionskunde in Deutschland" veröffentlicht. Dabei handelt es sich um die erste Publikation, die sich dezidiert mit religionskundlichen Aspekten im Kontext von Schule und Unterricht in Deutschland – sowie in einem Kapitel auch in der Schweiz und in Österreich – aus einer religionswissenschaftlichen Perspektive auseinandersetzt.

Lehrerin steht vor einer Klasse
Gehört Religion in den Ethikunterricht?
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Im Anschluss an den Eröffnungsvortrag diskutierten in einem disziplinären Panel Christian Feichtinger von der Universität Graz und Karsten Lehmann von der Kirchlichen Pädagogischen Hochschule Wien/Krems die Frage, auf welche Art und Weise sich sowohl religionspädagogische als auch religionskundliche Ansätze gegenseitig nutzen können. Dabei zeigte Feichtinger eine ganze Reihe von möglichen und realistischen Anknüpfungspunkten zwischen diesen beiden Zugängen auf und unterstrich, dass diese im Ethikunterricht ebenso aufeinander bezogen werden sollten wie im Religionsunterricht. Lehmann betonte hauptsächlich drei Beiträge, welche die Religionskunde in der Beschäftigung mit Religion an österreichischen Schulen leisten könne: "Die Religionskunde betont ein weites, heuristisches Religionskonzept, einen Fokus auf innerreligiöse Vielfalt sowie die lebensweltliche Verankerung von Religion."

Und in der Praxis?

Das abschließende praxisorientierte Panel zeigte schließlich, wie wenig solche Überlegungen bislang im österreichischen Schulalltag und in der konkreten Schulpraxis angekommen sind. Manfred Wirtitsch vom Bildungsministerium betonte, dass der Ethikunterricht bislang noch immer primär von der Philosophie verantwortet werde. Dieser Zugang wird auch im Blick auf den Lehrplan und die meisten der bislang genehmigten Schulbüchern für dieses Unterrichtsfach deutlich.

Im Gegensatz zur religionswissenschaftlichen Herangehensweise werden Religion(en) hier grundsätzlich als separierter Block thematisiert, ohne konkreten Bezug zu den anderen Themenfeldern, die im Lehrplan ausgewiesen sind. Auch aus diesem Grund spielen religionskundliche Konzeptionen hinsichtlich der Vermittlung von Wissen über Religion(en) nach wie vor nur eine nachgeordnete Rolle. Elisabeth Zissler von der Kirchliche Pädagogische Hochschule Wien/Krems berichtete in ihrem Beitrag von den ersten Ergebnissen des Forschungsprojekts EthOS, das sich mit der Implementierung von Ethikunterricht an Österreichs Oberstufen beschäftigt. Seine Ergebnisse machen deutlich, dass sich Lehrer:innen im Besonderen mit Blick auf das Thema Religion unsicher fühlen und dass hier ein großer Bedarf an Fort- und Weiterbildungen festzustellen ist.

Schließlich berichtete Veronica Futterknecht vom Borg Hegelgasse sehr anschaulich aus ihrem Berufsalltag und dem großen Interesse von Schüler:innen im Ethikunterricht am Thema "Religion": "Meine Schülerinnen und Schüler erwarten sich viel vom Ethikunterricht – insbesondere, wenn es um Religion geht. Da könnte die Religionskunde einen wichtigen Beitrag leisten."

Somit hat diese Fachtagung ein zweiteiliges Ergebnis erbracht. Sie hat einerseits gezeigt, welche Potenziale die Religionskunde für den Ethikunterricht – aber auch für den klassischen Religionsunterricht – bereithält. Andererseits hat sich durch den Blick auf die konkrete Praxis in der Schule gezeigt, dass hier noch viel Raum für weitere Entwicklungen besteht – etwa im Blick auf die Erhöhung der religionswissenschaftlichen Lehrveranstaltungen im Rahmen der Fort- und Weiterbildung von Lehrpersonen oder die Mitarbeit der Religionswissenschaft bei der Konzeption und Erstellung von Unterrichtsmaterialien für dieses Unterrichtsfach.

Obwohl die Teilnehmer:innen an der Tagung unterschiedliche Positionen hinsichtlich des Anteils von Religion im Ethikunterricht vertreten haben, konnte überwiegend eine Offenheit für die Relevanz von Religionskunde festgestellt werden. Die ÖGRW plant deshalb, im kommenden Jahr unter anderem einen Workshop zur Umsetzung von religionskundlichen Beiträgen im Ethikunterricht zu organisieren, um Potenziale der Religionskunde exemplarisch zu veranschaulichen. Die Organisator:innen der Fachtagung hoffen, dass sich dadurch auch die Kooperationen zwischen Forschung, Ministerium und Schule weiter intensivieren lassen, denn letztlich geht es hier "um den Kompetenzerwerb bei Schülerinnen und Schülern sowie bei Lehrerinnen und Lehrern", so Birgit Heller, die Präsidentin der ÖGRW. (Karsten Lehmann, Robert Wurzrainer, Franz Winter 30.4.2024)