Zelte und Transparente am Campus der Columbia University aus der Vogelperspektive
"Glamping" auf dem Campus? Studentinnen und Studenten der Columbia University haben eine "befreite Zone" eingerichtet und scheuen nicht davor zurück, sich pro Hamas zu positionieren.
Foto: Reuters / Caitlin Ochs

Das "Gaza Solidarity Camp" an der Columbia University, auch die "Liberated Zone" genannt, zieht derzeit viel mediale Aufmerksamkeit auf sich. Jüdische Studentinnen und Studenten meiden den Campus bereits seit Monaten, seit einigen Tagen droht die Situation nun völlig zu entgleisen. Hunderte Studentinnen und Studenten werden festgenommen, hundert andere schlagen neue Zelte auf. Es ist schwer zu ertragen, wenn junge und gebildete Menschen es nicht schaffen, sich dem Frieden zu widmen, sondern sich stattdessen in einen polemischen Mob verwandeln. Eine Überraschung ist es allerdings nicht.

Binäres Weltbild

Der Diskurs an vielen Universitäten in den USA wird seit Jahrzehnten von Identitätspolitik geprägt. Die Welt, die der Erfahrung nach ja eigentlich eine hochkomplexe ist, wird in Gut und Böse, in Täter und Opfer eingeteilt. Das erleichtert Denkprozesse und befreit einen von der Bürde, sich ernsthaft mit Geschichte, Konflikten und sozialen Gefügen auseinanderzusetzen. Es spart Platz, wenn in Texten kein Raum für differenzierte Meinungen gelassen werden muss. "Burn Tel Aviv to the ground" oder "Go back to Poland" ist natürlich auch schneller gerufen als "Ich sehe den kollektiven Schmerz zweier Völker, die in einem nicht endenwollenden Teufelskreis der Gewalt gefangen zu sein scheinen. Ich wünsche mir einen unabhängigen palästinensischen Staat und ein sicheres Israel, aber ich weiß nicht, wie."

Das binäre Weltbild der Protestierenden entspringt der weniger komplexen Gründungsgeschichte der USA, es lässt sich aber, so sehr man es auch dreht und wendet, nicht auf den Nahen Osten stempeln. Genau das wird aber an Unis wie der Columbia propagiert. Israel ist die imperialistisch-kolonialistische Apartheid-Macht, Palästina ist indigenes Volk und hilfloses Opfer. Dass in dieser Rechnung beide Völker entmenschlicht werden, ist zumindest in eine Richtung beabsichtigt. Israelis und jüdische Menschen werden damit der Barbarei freigegeben. Im ehemaligen Tempel des Antirassismus werden gezielte Angriffe wenn nicht verherrlicht, dann zumindest verharmlost. Dieselben Personen, die gerne Worte wie "Mikroaggression" verwenden, scheinen plötzlich kein Problem damit zu haben, menschliche Ketten zu formen, um Jüdinnen und Juden den Zutritt zur Uni zu verwehren. Diesen grassierenden Antisemitismus sehen wir nun in unzähligen Berichten und Videos.

Seite an Seite

Das scheint nicht nur der Hamas zu gefallen, die kürzlich eine Solidaritätserklärung für die Protestierenden veröffentlicht hat, sondern auch dem iranischen Führer Ali Khamenei, der das Schwenken von Hisbollah-Flaggen in New York auf X, vormals Twitter, lobte. Indem die Protestierenden sich für Khameneis Zwecke instrumentalisieren lassen, fallen sie nicht nur den iranischen und palästinensischen Menschen, die in Frieden leben wollen, in den Rücken, sondern treten die eigenen demokratischen Freiheiten und Privilegien mit Füßen. Im Gegensatz zu den mutigen Menschen im Iran, die für ihren Freiheitskampf ihr Leben riskieren, ist die "Liberated Zone" der selbstgerechten 19-Jährigen an einer der teuersten Universitäten der Welt wohl eher ein Fall von Glamping.

Das Traurigste daran ist vielleicht, dass das Zusammenkommen so vieler junger Menschen auch eine Botschaft der Hoffnung sein könnte. Israelis und Palästinenserinnen und Palästinenser werden weiterhin Seite an Seite miteinander leben müssen. Wie das möglich sein soll, ist völlig ungewiss – dazu fehlt es an Vorstellungskraft, an Zusammenhalt, an Mut. Genau hier hätten die Studentinnen und Studenten ansetzen können. Gemeinsam hätte man erarbeiten können, wie die Zukunft in dieser so fürchterlich gespaltenen Region aussehen könnte und wie ein anhaltender Frieden erreicht werden kann. Denn so laut die Protestierenden auch danach schreien mögen – Israel wird nicht von der Landkarte verschwinden. (Paula Angermair, 30.4.2024)